• 8. Januar 2020

Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der SWP

„Gute Diplomatie kann nicht nur dort aktiv werden, wo der Erfolg gesichert ist!”

Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der SWP

Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der SWP 150 150 Sven Lilienström

„Gute Diplomatie kann nicht nur dort aktiv werden, wo der Erfolg gesichert ist!”

Prof. Dr. Volker Perthes (61) ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten zählen unter anderem die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen Deutschlands und der Europäischen Union sowie der politische Wandel im Nahen und Mittleren Osten. Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Prof. Dr. Perthes über den Nahost-Friedensprozess, die Machtverschiebung in Richtung Asien und die Frage, ob wir in Deutschland Atomwaffen brauchen.

Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) | © SWP - Marc Darchinger

Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) | © SWP – Marc Darchinger

Herr Prof. Dr. Perthes, insbesondere der Nahe Osten ist seit Jahrzehnten ein Pulverfass. Was bedeutet Frieden für Sie ganz persönlich?

Volker Perthes: Die Friedensforschung hat uns gelehrt, dass Frieden mehr zu sein hat als die Abwesenheit von Krieg. Das bleibt richtig. Gleichwohl habe ich durch meine Mitarbeit an den konkreten Bemühungen der Vereinten Nationen, Krieg und Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, auch immer wieder erfahren, dass es prioritär ist, sich um ein Ende der Kampfhandlungen zu bemühen – als unabdingbare Voraussetzung eines umfassenden Friedens.

Frieden heißt, eine haltbare Ordnung ohne Krieg zu schaffen, in der Konflikte zwischen und innerhalb von Staaten gewaltfrei ausgetragen werden.

Ein Ende der physischen Gewalt, des Krieges, ist zwar keine Garantie, aber unabdingbare Voraussetzung für Schritte in Richtung Versöhnung, für die Wahrung der Menschenrechte, für Wiederaufbau und für „menschliche Sicherheit“ – ein Begriff, der nach Definition der Vereinten Nationen (Resolution 66/290 der Generalversammlung aus dem Jahr 2012) einschließt, „in Freiheit und Würde zu leben, frei von Armut und Verzweiflung“. Frieden heißt also zunächst, eine haltbare Ordnung ohne Krieg zu schaffen, in der Konflikte zwischen und innerhalb von Staaten gewaltfrei ausgetragen werden.

China rüstet nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch auf. So soll die „Neue Seidenstraße“ Pekings Einfluss auch auf dem Wasser ausdehnen. Erleben wir eine Machtverschiebung in Richtung Asien?

Volker Perthes: Das ist nicht mehr zu bezweifeln. China ist seit Jahren ein starker Akteur, der wirtschaftlich, technologisch, im internationalen Finanzsystem, in der Entwicklungspolitik und eben auch politisch und militärisch als Supermacht auftritt. Und in Asien gibt es mit Japan und Indien zwei weitere große Mächte, deren Gewicht und Einfluss zu oft unterschätzt wird. Chinas Belt-and-Road-Initiative, ein gewaltiges, auf China ausgerichtetes Projekt der Vernetzung über Infrastruktur und Investitionen, verändert die Beziehungen zwischen Staaten in Asien, Afrika und Europa. Dazu gehört auch, dass China seine maritime Macht ausbaut, in der südchinesischen See militärische Stärke zeigt, weltweit in Häfen investiert und seine eigene Technologie, nicht zuletzt in Zukunftsbereichen wie dem neuen Mobilfunkstandard (5G), mit einer Aggressivität verbreitet.

Die Rivalität zwischen den USA und China gewissermaßen zum Leitparadigma der internationalen Beziehungen geworden!

Im Ergebnis dieser Entwicklungen ist die Rivalität zwischen den USA und China gewissermaßen zum Leitparadigma der internationalen Beziehungen geworden, das strategische Debatten, aber auch reale politische, militärische und wirtschaftliche Dynamiken prägt. In den offiziellen Strategiedokumenten der US-Regierung firmiert China seit 2017 als „long-term strategic competitor“. Und Chinas politische Elite ist – wohl zu Recht – überzeugt, dass die USA zumindest die Ausdehnung chinesischen Einflusses eindämmen wollen. Streit über die Handelspolitik oder die Handelsbilanzen steht zwar im Vordergrund öffentlicher Äußerungen des US-Präsidenten und hat unmittelbare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Gleichwohl stellen handelspolitische Auseinandersetzungen nur einen und keineswegs den wichtigsten Aspekt der Rivalität dar. Nur wenn wir die Multidimensionalität der amerikanisch-chinesischen Konfliktkonstellation verstehen, werden auch wir in Europa angemessene politische Antworten finden und die notwendigen Instrumente entwickeln können.

Die UN hat sich 2017 mit den Stimmen von 122 ihrer 193 Mitgliedsländer für ein Verbot von Nuklearwaffen ausgesprochen. Deutschland war nicht dabei. Brauchen wir Atomwaffen in Deutschland?

Volker Perthes: Wir „brauchen“ nicht unbedingt Atomwaffen in Deutschland, aber solange internationale Großmächte und die NATO auf nukleare Abschreckung setzen, um Sicherheit und Stabilität zumindest im Verhältnis dieser Mächte zu erhalten, ist es richtig, dass Deutschland als NATO-Mitglied ein Mitspracherecht über Einsatzdoktrinen und einen potentiellen Einsatz dieser Waffen hat. Zur nuklearen Teilhabe Deutschlands im Rahmen der NATO gehört aber auch die Zustimmung zur Stationierung einer kleinen Zahl amerikanischer Atomwaffen in Deutschland.

Bevor wir darauf hoffen, dass Massenvernichtungswaffen einfach aus den Arsenalen verschwinden, sollte gerade Deutschland sich für starke Rüstungskontrollvereinbarungen mit Höchstgrenzen, wirksamen Inspektionsregimen und anderen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen einsetzen, die das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen und anderer Massenvernichtungswaffen möglichst auf null reduzieren.

Der Handschlag von Yitzchak Rabin und Jassir Arafat sollte die Gewalt im Nahen Osten beenden. 26 Jahre später ist eine Zwei-Staaten-Lösung faktisch vom Tisch. Ist der Nahost-Friedensprozess gescheitert?

Volker Perthes: Eine Zwei-Staaten-Lösung, bei der Israel und ein palästinensischer Staat friedlich miteinander koexistieren, bleibt weiter möglich und auch die sinnvollste Zukunftsoption für beide Völker – die einzige jedenfalls, die in Israel und den palästinensischen Gebieten noch mehrheitliche Zustimmung findet. Die Chancen, eine solche Lösung auszuhandeln und umzusetzen, werden allerdings immer geringer.

Faktisch hat sich eine Einstaaten-Realität entwickelt, in der die Palästinenser als Bürger zweiter oder dritter Klasse unter israelischem Recht oder israelischer Hegemonie leben.

Faktisch hat sich eine Einstaaten-Realität entwickelt, in der die Palästinenser als Bürger oder Einwohner zweiter oder dritter Klasse unter israelischem Recht oder israelischer Hegemonie leben. Das ist keine Grundlage für Frieden oder Versöhnung. Und je länger eine verhandelte Lösung heraus gezögert oder Fakten geschaffen werden, die entsprechende Lösungsoptionen weiter minimieren – etwa durch weiteren Siedlungsbau und durch eine Annexion weiterer Teile der israelisch besetzten Gebiete – desto wahrscheinlicher wird es, dass Israelis und Palästinenser eine neue Welle der Gewalt erleben, an deren Ende dann auch keine neuen Ideen entstehen werden als Verhandlungen über eine Lösung für zwei separate, souveräne Staaten zu führen. Nur eben unter schlechteren Voraussetzungen als heute.

Bleiben wir in Nahost: Nach den Parlamentswahlen in Israel sorgt sich Präsident Reuven Rivlin um den Erhalt der Demokratie. Wie gespalten ist das Land und ist die Demokratie in Israel wirklich in Gefahr?

Volker Perthes: Bislang ist Israel die einzig funktionierende Demokratie in seiner regionalen Umgebung, auch der einzige Rechtsstaat mit „Checks und Balances“, die sich nicht so leicht außer Kraft setzen lassen. Es gibt allerdings Gefahren für die liberale Demokratie in Israel, ähnlich wie in anderen demokratisch verfassten Staaten wie Ungarn, Polen, Indien oder Brasilien. Insbesondere geht es dabei um Versuche demokratisch gewählter Eliten, die Grundlagen des eigenen Staatswesens, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, zu manipulieren oder zu unterminieren. Die größte Gefahr für Israel liegt aber wohl darin, weiterhin und auf noch längere Zeit Besatzungsmacht zu bleiben, wobei eine jüdische Bevölkerung über eine nicht-jüdische Mehrheit mit minderen Rechten herrscht.

Die USA fordern den Abbruch der Militäroffensive in Nordsyrien, die Türkei hingegen verlangt Solidarität von der NATO. Wie sollten Deutschland und die EU jetzt reagieren und welche Möglichkeiten haben wir überhaupt?

Volker Perthes: Die Türkei wird auf absehbare Zeit ein schwieriger Partner bleiben, aber als NATO-Mitglied bleibt sie ein wichtiger Partner. Der Einmarsch der Türkei in Nordsyrien, die anhaltende Besetzung mehrerer Gebiete dort und der Versuch, dort durch die Ansiedlung von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei eine der Türkei freundliche Bevölkerungsmehrheit entlang der syrisch-türkischen Grenze zu schaffen, widerspricht dem Völkerrecht. Nur ist die Türkei nicht der einzige Staat, der am Kriegsschauplatz Syrien oder im weiteren Mittleren Osten aus einer Logik der Macht und der Sicherheit, nicht des Rechts, agiert.

Die zum Teil sehr harsche Kritik, mit der auf den jüngsten türkischen Einmarsch in Syrien reagiert wurde, hat gelegentlich schon ans Absurde gegrenzt.

Insofern hat die zum Teil sehr harsche Kritik, mit der in Deutschland und anderen europäischen Staaten auf den jüngsten türkischen Einmarsch in Syrien reagiert wurde, gelegentlich schon ans Absurde gegrenzt. Wenn etwa ein Rausschmiss der Türkei aus der NATO oder ein totaler Exportstopp gegen die Türkei gefordert wurde, dann hatte das für mich den Charakter einer Ersatzhandlung dafür, dass die Europäer selbst in den vergangenen zehn Jahren eben keine effektive Syrienpolitik gehabt haben. Wir sollten, ohne die Politik der Türkei zu teilen oder die Art und Weise, wie sie diese umzusetzen versucht, für richtig zu halten, zunächst einmal anerkennen, dass die Türkei mit Blick auf Nordsyrien legitime Sicherheitsinteressen hat – man befürchtet in Ankara etwa, dass hier ein Rückzugsraum für Terroristen entsteht – die von den amerikanischen Verbündeten nicht ernst genug genommen worden sind.

Gute Diplomatie kann nicht nur dort aktiv werden, wo der Erfolg gesichert ist!

Wir müssen zudem anerkennen, dass die Türkei in den letzten Jahren 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt und sehr viel besser behandelt hat als andere Länder. Wenn man mit dieser Anerkennung in Gespräche mit der Türkei geht, hat man auch eine Grundlage um Themen, bei denen wir massive Kritik an türkischer Politik haben, adäquat anzusprechen. In jedem Fall verlangt eine kluge europäische Politik das anhaltende politische Gespräch mit der Türkei und konkret, auch wenn Ankara dies öffentlich ablehnt, das Angebot „guter diplomatischer Dienste“ für einen neuen Friedensprozess im Innern und eine Verständigung mit syrisch-kurdischen Akteuren, die die Türkei dort bekämpft. Das mag zurzeit nicht erfolgversprechend sein. Aber gute Diplomatie kann nicht nur dort aktiv werden, wo der Erfolg gesichert ist.

Herr Prof. Dr. Perthes, welche drei Konfliktherde sind Ihrer Meinung nach zurzeit die gefährlichsten und welche Maßnahmen zur Deeskalation und Friedensstabilisierung schlagen Sie vor?

Volker Perthes: Zwei davon haben wir schon angesprochen: die Rivalität zwischen den USA und China und die nah-mittelöstliche Konfliktlandschaft, wobei die Konfrontation zwischen den USA und Iran hier derzeit das höchste und gefährlichste Eskalationspotential hat. Wir haben es hier mit einem regionalen Flächenbrand zu tun, der sich von der Türkei im Norden und Iran im Osten bis Jemen im Süden und Libyen im Westen zieht. Wenn wir auf geopolitische Konflikte fokussieren, so könnte auch der Konflikt um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm jederzeit wieder akut werden.

Viele der Konflikte heute und in der Zukunft werden mit Klimaentwicklungen zusammenhängen!

Zudem sollten wir aber auf die globale Klimakrise als wesentlichen Konfliktverschärfer schauen. Viele der Konflikte heute und in der Zukunft werden mit Klimaentwicklungen zusammenhängen. Wir müssen mit mehr Migration und Armut und auch mit Konflikten über Territorium, Wasser und Nahrung infolge extremer Wetterphänomene, Dürre, Landwirtschafts- und Wasserkrisen rechnen. Der Klimawandel bleibt eine der zentralen Herausforderungen für die internationale Politik – und ein Test auch für geopolitische Konkurrenten, trotz politischer Antagonismen, zusammenzuarbeiten.

Vielen Dank für das Interview Herr Prof. Dr. Perthes!

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