• 22. Dezember 2020

Die missbrauchten Frauen des Krieges (Teil 2) – Interview mit Prof. Dr. Stefanie Bock

„Die Prozesse sind komplex und zeitaufwendig!“

Die missbrauchten Frauen des Krieges (Teil 2) – Interview mit Prof. Dr. Stefanie Bock

Die missbrauchten Frauen des Krieges (Teil 2) – Interview mit Prof. Dr. Stefanie Bock 150 150 Sven Lilienström

„Die Prozesse sind komplex und zeitaufwendig!“

Der sexuelle Missbrauch von Mädchen und Frauen wird in Krisenregionen häufig als „Kriegswaffe“ eingesetzt. Um den Gegner zu demütigen, vergehen sich Soldaten und Milizionäre an deren Frauen und Töchtern – eine perfide und menschenverachtende Zermürbungsstrategie. Doch was tut die internationale Gemeinschaft, um die Täter zu verfolgen und vor Gericht zu stellen? Im zweiten Teil des Interview-Specials Die missbrauchten Frauen des Krieges spricht Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter des Friedens, mit der Geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrums für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) Prof. Dr. Stefanie Bock über die Frage, was die internationale Strafjustiz leisten kann und was nicht.

Prof. Dr. Stefanie Bock, Geschäftsführende Direktorin des ICWC | © Fotostudio Laackman, Marburg

Prof. Dr. Stefanie Bock, Geschäftsführende Direktorin des ICWC | © Fotostudio Laackman, Marburg

Frau Prof. Dr. Bock, schön, dass Sie Zeit für ein Interview gefunden haben. Zu Beginn möchten wir Sie gerne zu allererst fragen: Was bedeutet Frieden für Sie ganz persönlich?

Stefanie Bock: Frieden ist – wenn man hierunter mehr versteht, als die schlichte Abwesenheit von Krieg – ein Prozess, der auf die Verminderung von Unfreiheit und Ungerechtigkeit und den Abbau personeller, struktureller und kultureller Gewalt gerichtet ist.

Frieden ist für mich die unverzichtbare Grundbedingung der menschlichen, das heißt menschenwürdigen Existenz!

Friedensprozesse zielen auf den Aufbau einer freien, gerechten und sicheren Gesellschaft, in der sich jedes Individuum nach seinen Fähigkeiten und Wünschen im Rahmen einer ausgewogenen Gesellschaftsordnung frei verwirklichen kann. Frieden ist für mich damit die unverzichtbare Grundbedingung der menschlichen, das heißt menschenwürdigen Existenz.

Sie sind seit März 2018 Geschäftsführende Direktorin des Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrums für Kriegsverbrecherprozesse. Warum ist die Arbeit des „ICWC“ so wichtig?

Stefanie Bock: Das ICWC (International Research and Documentation Centre for War Crimes Trials) widmet sich der Erforschung des Völkerstrafrechts im weiten Kontext von „Transitional Justice“ sowie der Dokumentation von (historischen) Kriegsverbrecherprozessen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ICWC sammeln überall auf der Welt verstreute Prozessunterlagen, speisen sie in die zentrumseigene Datenbank ein, werten sie unter verschiedenen fachlichen und thematischen Blickwinkeln aus und beteiligen sich am internationalen wissenschaftlichen Diskurs über die Aufarbeitung von Massengewalt.

Das ICWC will einen Beitrag zur internationalen Friedensforschung und zur Verbesserung des Schutzes von Menschenrechten leisten.

Im Zentrum unserer interdisziplinären Forschung stehen die Fragen, wie gewaltsame gesellschaftliche Konflikte entstehen, wie die in einem solchen Kontext begangenen Verbrechen bewältigt werden können und welche Rolle die (internationale) Strafjustiz dabei spielen kann. Hierdurch wollen wir einen Beitrag zur internationalen Friedensforschung und zur Verbesserung des Schutzes von Menschenrechten leisten.

Unser Thema lautet: „Die missbrauchten Frauen des Krieges“. Weltweit sind Mädchen und Frauen in Konflikten sexueller Gewalt ausgesetzt. Warum ist es so schwer, die Täter vor Gericht zu stellen?

Stefanie Bock: Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten ist ein Massenphänomen, kommt also sehr häufig vor; teilweise werden Vergewaltigungen sogar gezielt als Kriegswaffe eingesetzt. Dies macht es schwer, die Täterinnen und Täter zu identifizieren beziehungsweise einzelne Taten individuellen Personen zuzuschreiben.

Die Betroffenen können davor zurückschrecken, offen über ihre Erlebnisse zu sprechen – auch und erst recht in Gerichtsverfahren.

Hinzu kommt, dass sexuelle Gewalt häufig gesellschaftlich tabuisiert wird. Die Betroffenen können daher davor zurückschrecken, offen über ihre Erlebnisse zu sprechen – auch und erst recht in Gerichtsverfahren. Dies gilt umso mehr, wenn die Geschädigten damit rechnen müssen, nach der Vergewaltigung in ihrer Gesellschaft als vermeintlich „unrein“ oder „nicht heiratsfähig“ abgestempelt zu werden.

Schwerer als die körperlichen Narben wiegen die bleibenden seelischen Wunden. Denken Sie, dass eine Verurteilung der Täter den Missbrauchsopfern bei der Aufarbeitung der Geschehnisse hilft?

Stefanie Bock: Ein Gerichtsverfahren oder auch die strafrechtliche Verurteilung der Verantwortlichen kann das Leid der Opfer nicht ungeschehen machen. Die Überlebenden völkerrechtlicher Massengewalt werden häufig ihr Leben lang unter der Tat und ihren Folgen leiden. 

Strafgerichte können die Taten eindeutig als Unrecht brandmarken und die Überlebenden in ihrem Opferstatus anerkennen.

Damit wird zugleich allen Täterinnen und Tätern, Geschädigten und Konfliktbeteiligten signalisiert, dass die internationale Staatengemeinschaft nicht gewillt ist, die systematische Verletzung von Menschenrechten hinzunehmen. Strafurteilen kommt damit ein hoher symbolischer Wert zu. So können sie – wenn und soweit sie von den Opfern als Akt der Gerechtigkeit wahrgenommen werden – einen Beitrag zur individuellen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Geschehnisse leisten.

Ein Missbrauchsopfer des Kosovo-Krieges sagte uns, viele Frauen seien „enttäuscht von Den Haag“. Wurden Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien konsequent genug verfolgt?

Stefanie Bock: Die internationale Strafgerichtsbarkeit – das gilt auch für das Jugoslawientribunal – ist notwendig selektiv. Es können nur eine begrenzte Anzahl von Personen verfolgt werden. Zudem sind die Prozesse komplex und sehr zeitaufwendig.

Es besteht daher die Gefahr, dass die Erwartungen und Hoffnungen der Opfer enttäuscht werden!

Es besteht daher die Gefahr, dass die Erwartungen und Hoffnungen der Opfer enttäuscht werden. Dem kann nur vorgebeugt werden, wenn klar kommuniziert wird, was die internationale Strafjustiz leisten kann und was nicht.

Der kongolesische Arzt und Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege hat die Gewalt gegen Frauen als „Schande für die Menschheit“ bezeichnet. Was wünschen Sie sich von der internationalen Politik?

Stefanie Bock: Konsequente Ächtung der Taten, politische Isolierung der Hauptverantwortlichen und vorbehaltlose Unterstützung von nationalen und internationalen Mechanismen zur Aufarbeitung der Gewalten – wie zum Beispiel den Internationalen Strafgerichtshof.

Frau Prof Dr. Bock, bitte vervollständigen Sie den nächsten Satz mit nur einem Wort: Eine Welt, in der wir den Internationalen Strafgerichtshof oder das ICWC nicht mehr bräuchten, wäre …!

Stefanie Bock: …freundlicher!

Vielen Dank für das Interview Frau Prof. Dr. Bock!

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Foto: Veronique de Viguerie

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